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Chemie und Wehrtechnik

International besetztes Forum zur Europäischen Chemikalienverordnung in Bonn-Bad Godesberg, 9. November 2017

Seit 2007 ist die EU-Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACh) und zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) in Kraft. Als europäische Verordnung hat sie für die Mitgliedsstaaten sofort nationalen Gesetzescharakter. Sie ist überaus komplex und mit fast 850 Seiten ein Schwergewicht unter den Europäischen Verordnungen.

Geregelt wird quasi alles, was mit gefährlichen Stoffen bzw. Erzeugnissen und dem Umgang damit zu tun hat. Ziel ist es, ein hohes Schutzniveau für Mensch und Umwelt aufzubauen und EU-weit zu harmonisieren. REACh gilt grundsätzlich für alle chemischen Stoffe, also nicht nur für solche, die ausschließlich im Verlauf industrieller Verfahren verwendet werden, sondern auch für jene im täglichen Leben, wie z. B. in Reinigungsprodukten oder Kleidung. Die Verordnung hat daher Auswirkungen auf die meisten Unternehmen in der gesamten EU - und damit selbstverständlich auch die Rüstungsindustrie und kann die Operationsfähigkeit von Streitkräften beeinflussen. Allerdings, und dies ist von wesentlicher Bedeutung, dürfen die Mitgliedstaaten im Verteidigungsinteresse in speziellen Fällen und für bestimmte Substanzen Ausnahmen von der Verordnung zulassen.

Die Abteilung Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (IUD) im Bundesministerium der Verteidigung hatte in ihrem Selbstverständnis als „enabler“ bei der Erfüllung des Verteidigungsauftrages auch auf dem Gebiet des weiteren Arbeitsschutzes - und dazu zählt die Chemikaliensicherheit in der Bundeswehr - diesen Themenbereich zum Anlass genommen, sich mit der gemeinsamen Ausplanung einer Informationsveranstaltung an die DWT zu wenden.

REACh richtet sich an alle Wirtschaftsakteure: Vom Hersteller des Stoffes, über die Lieferkette bis hin zum Händler. Gefährliche Stoffe können verboten oder in ihrer Verwendung eingeschränkt werden. Auf lange Sicht sollen die zulassungspflichtigen, besonders besorgniserregenden Stoffe durch geeignete Alternativstoffe ersetzt werden. Davon ist die Verteidigungsindustrie im besonderen Maße betroffen. Um diese Risiken zu identifizieren und geeignete Lösungen anbieten zu können, hat die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) eine Task Force zur Harmonisierung der Umsetzung von REACh im Verteidigungssektor eingesetzt und die Auswirkungen der Verordnung mit Hilfe einer Studie aufzeigen lassen.

Frau Ministerialdirektorin Alice Greyer-Wieninger, Abteilungsleiterin IUD im BMVg hat dies zum Anlass genommen, an das mit 11 vertretenden Staaten international besetzte Forum ihre Key Note einzuleiten mit: „Meines Wissens findet ein Symposium zu den spezifischen Auswirkungen der REACh-Verordnung auf den Verteidigungssektor und mit so breiter, auch internationaler Beteiligung erstmalig statt. Alle beteiligten Seiten an einem Tisch - das gab es noch nie.“ Allen Betroffenen eine Möglichkeit zur Information aus erster Hand zu geben mit dem Ziel, ein gemeinsames Verständnis für dieses Thema zu generieren und die Arbeitsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie zu gewährleisten, ist der Mühen immer wert. Weiterhin verdeutlichte sie, „Mit diesem Symposium wollen das Bundesministerium der Verteidigung und die Bundeswehr den Stellenwert verdeutlichen, den wir dem Dialog mit unseren Lieferanten zu Fragen der Chemikaliensicherheit beimessen“. Denn „zusammen mit den Streitkräften unserer Bündnispartner ist die Bundeswehr darauf angewiesen, dass die Erfüllung der REACh-Regularien zeitgerecht und reibungslos geschieht“.

Es folgten ausführliche und informative Vorträge seitens der Bundeswehr, der Industrie, der EDA und der Rechtswissenschaften, die das Thema von allen Seiten beleuchteten. Ministerialrat Michael Brand, Referatsleiter BMVg IUD II 4, betonte die Möglichkeit, diese REACh-Netzwerk-Plattform als regelmäßige Veranstaltung zu etablieren.

Denkt man bei Chemikalien im Zusammenhang mit Wehrtechnik nur an chemische Kampfstoffe, springt man eindeutig zu kurz. Dieses Thema ist viel umfassender, wie ein überaus anschauliches Beispiel aus dem Bereich der Munition zeigt. Im 120 mm Rohr des Kampfpanzers Leopard ist eine Oberflächenlegierung mit Chromtrioxid aufgebracht, dessen Nutzung nach der REACh-Verordnung endlich ist. Die Bedeutung dieser Legierung sei an folgendem Beispiel aufgezeigt: Mit Legierung können ca. 300 Schuss verbracht werden, ohne nur 5. Selbst mit heute zur Verfügung stehenden Ersatzstoffen ist das Rohr nach 30-50 Schuss verbraucht. Dieses plakative Beispiel zeigt auf, welche Auswirkungen diese Verordnung auf Einsatzbereitschaft und Kampffähigkeit der Streitkräfte haben kann.

Die Registrierung dieser Stoffe ist daher von entscheidender Bedeutung, denn ohne wird es keine weitere Verwendung geben. Der Schwellenwert ist zum Schutz von Mensch und Umwelt über die Zeitachse abgesenkt worden und liegt bei einer Tonne pro Akteur und Jahr. Die bereits oben erwähnte Studie „The Impact of REACh on the Defence Sector“, welche unter Zuarbeit der EDA-Mitgliedsstaaten in der REACh Task Force, der europäischen Industrie sowie weiterer europäischer Institutionen durch die Firma REACH Law Ltd. im Auftrag der EDA erarbeitet wurde, zeigt detailliert die Risiken des Verteidigungssektors auf und beschreibt mögliche Maßnahmen zur Minimierung dieser.

Weitere Beiträge über die Herausforderungen, die die REACh-Verordnung an die Industrie stellt sowie eine von Ministerialrat Brand moderierte Abschlussdiskussion rundeten den informativen Tag ab. Alle Beteiligten waren sich einig, dass ein weiterer Austausch in dieser Form ebenso notwendig wie gewinnbringend sei und daher fortgeführt werden sollte.