2018

China als Ordnungsmacht?

Chinesische Geopolitik in Nordkorea, dem Südchinesischen Meer und der neuen Seidenstraße; Veranstaltung der Sektion Köln-Bonn am 24. Januar 2018

Am 24. Januar 2018 fand die Winterveranstaltung der DWT Sektion Köln-Bonn unter Leitung von Oberst a.D. Josef Erhard Schuler statt. Veranstaltungsort war wieder traditionsgemäß der Posttower in Bonn. Die Veranstaltung war in Kooperation mit der Clausewitz-Gesellschaft RK West wie der GSP Bonn und Bad Neuenahr und mit Beteiligung des VdRBw und des DBwV organisiert.

Der Sektionsleiter hatte die Informationsveranstaltung als Kooperationsprojekt geplant und das Thema China als Ordnungsmacht? der hohen Aktualität halber auf die Agenda gesetzt.

Der Kernvortrag reflektierte nach einer umfassenden Begriffsklärung Chinas Versuch sich als neue Welt-Ordnungsmacht zu etablieren. Dabei wurden im Schwerpunkt die Chinesische Geopolitik in Nordkorea, dem Südchinesischen Meer und der Neuen Seidenstraße traktiert.

Im ersten Teil seines Vortrages ging Dr. Enrico Fels, der am Center for Global Studies, Universität Bonn derzeit die Forschungsgruppe Sicherheit & Diplomatie leitet auf den Begriff „Ordnungsmacht“ in Bezug auf regional oder überregional auftretende Akteure ein. Es geht dabei um den Umgang mit der Macht, d.h. mit den Einflussmöglichkeiten in einer entsprechenden Sphäre, um die Durchsetzung gewisser Interessen und um die Lösung (Eskalation/Deeskalation) von Konflikten in diesen Gebieten. Analysebegriffe sind dabei zur Anwendung kommende Werte und Prinzipien, Regeln und Verfahren/Institutionen, die Legitimität und Effektivität des Durchsetzungsverhaltens sowie Autorität und Machtverhalten gegenüber anderen Akteuren.

2017 befindet sich die bisher bekannte internationale Einflussordnung in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess: In China und Indien steigt das BIP überproportional - China hat 2014 sowohl die USA als auch die EU überholt! Seither hat China gegenüber diesen beiden Akteuren eine doppelt bzw. dreifach hohe jährliche Zuwachsrate. Chinas Wirtschaftsgröße ist in 25 Jahren um über 1.000 % angewachsen! China ist heute der Welt größte Wirtschaftsmacht. Ganz einfach!

Und es geht weiter: Chinas Ziel ist eine Verdoppelung des BIP von 2010 bis 2020 - dieses Ziel ist bei der aktuellen Wachstumsrate erreichbar! Damit steigt sein Einfluss, insbesondere wenn man parallel dazu Einflussinstrumente (Banken, Währungs- und Handelsvereinbarungen) in eigener Zuständigkeit aufbaut.

Ein paar Hintergrundfakten dazu:
Ein Kreis um Peking mit einem Radius von 2.500 km (Distanz Peking-Pakistan) umfasst die Mehrheit der Weltbevölkerung. Das Land wird autoritär durch einen Ein-Parteien-Staat geführt, eine Opposition ist praktisch nicht vorhanden. Die Staatsführung ist ausschließlich „output-legitimiert“, d.h. das System funktioniert, es „liefert“, - die Bevölkerung spürt und fühlt den Fortschritt. Oder anders: weil es massiv aufwärts geht, nimmt die Bevölkerung gewisse Unbillen in Kauf! Das erkennbar erreichbare Ziel 2020 - keine Armut (Hunger) mehr, Niveau Spanien/Polen erreichen - wird durch die Bevölkerung mitgetragen.

Betrachtet man die „relative Veränderung“ der letzten 15 Jahre in den maßgeblichen Wirtschaftsfaktoren, so zeigt sich bei USA und Deutschland in allen Werten eine Verringerung von 10 bis 30 %, wohingegen man bei den chinesischen Werten eine Steigerung meist von 100 bis 300 % feststellen muss.

Mit Xi Jinping vollendet sich der seit 1992 stattfindende fundamentale Wandel von dem „Beobachten und Sichern - nur nicht auffallen“ des Deng Xiaoping hin zur offensiven Gesellschaftsentwicklung (Ziel 2020), zum Nationalstolz (nationale Souveränität und interne Stabilität = China-Patriotism) bis hin zu strategischer Rivalität mit den USA. Hier ist hohes Misstrauen trotz enger wirtschaftlicher und politischer Kontakte erkennbar, ein „Sich-zurecht-finden“ zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit und machtorientierter Realpolitik. China will den Status Quo ändern und strebt in der Multipolarität eine herausgehobene Position an, um das „Jahrhundert der Schande“ endgültig hinter sich zu lassen.

Dieser enorme wirtschaftliche Aufstieg bedeutet aber auch ein erhebliches Sicherheitsdilemma auf internationaler Ebene: mit dem Aufstieg unmittelbar verbunden sind Auslandsinvestitionen und ein unvermeidbarer Rüstungswettlauf. Dieses Dilemma frühzeitig einzuhegen hieße aber auf Kommunikation zu setzen, den Aufsteiger in Vertrauensbildung und Sicherheitsgemeinschaft einzubinden - dies nicht nur international in New York, sondern ganz besonders auf regionaler Bühne (australo-asiatisch), und auch auf dem Brüsseler Parkett (NATO, EU). Denn hier steht eine geopolitische Erfahrung im Raum, die als „Thukydides-Falle“ bezeichnet wird: seit 500 Jahren trafen in 16 Fällen aufstrebende Großmachten auf eine etablierte - nur jedes vierte Aufeinandertreffen führte nicht zum Krieg. Dieses Szenar wird in der einschlägigen Literatur der letzten 10 Jahre immer wieder heraufbeschworen - und es gibt weiterhin noch keine Sicherheitsarchitektur, in der China prominent eingebunden ist! Wie schon Sir Halford J. Mackinder 1919 - allerdings eher mit Blick auf Russland - postulierte: „Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel (Eurasien), … beherrscht die Welt.“

Schaut man sich das chinesische Weißbuch von 2015 an, so erkennt man eine maritime Neupositionierung: das Meer ist wichtiger als das Land, dort spielt sich die Masse des Handels und der Rohstoffversorgung ab!

Die großen Handelsrouten auf See führen - zwar in gewisser Distanz - an Chinas Küsten vorbei. Rund um Chinas Küsten sind US-amerikanische Einflusszonen positioniert. Vor Chinas Küsten - in einem sehr weit gefassten Rahmen - liegen Unmengen fossiler Brennstoffe im Meeresgrund, von denen Chinas enorm wachsende Industrie nicht genug bekommen kann. Und China ist bei weitem nicht unabhängig von externer Energiezufuhr - 80% davon kommt über See. Trotz weltweit größter Produktion von Solarpaneelen und Windrädern „made in PRC“!

Wieder ein paar Fakten:
Chinas Streitkräfte sollen bis 2035 komplett modernisiert sein; China als Nation verfügt heute über eine größere Zahl an Schiffen und U-Booten, als jede andere; China ist weltweit zweitgrößter Waffenexporteur. Lag vor 25 Jahren noch das Verhältnis der Rüstungsausgaben USA zu China bei 20 zu 1, so steht es heute fast bei 2 zu 1.

Nun zum zweiten Teil des Vortrages, der chinesischen Geopolitik bezüglich der koreanischen Halbinsel, des Südchinesischen Meeres und der „Neuen Seidenstraße“.

Nordkorea ist langjähriger Bündnis- und Handelspartner Chinas, zu dem relativ stabile - derzeit allerdings etwas angespannte - Beziehungen die Ostflanke Chinas ruhig halten sollen. Südkorea ist ebenfalls ausgesprochen wichtiger Handelspartner (teils noch wichtiger als USA), zu dem sich die politischen Verbindungen derzeit ausbauen, der aber prinzipiell als US-Alliierter zum Rivalitätslager Chinas gehört. Diese Rivalität prägt den gesamten Asien-Pazifik-Raum und behindert substantielle Fortschritte, insbesondere im Atomkonflikt, wo sich strategische Fenster zu schließen drohen. Peking will - output-orientiert - die Stabilität und Kriegsverhinderung, befürchtet aber genau diese Bedrohung als bewusste Eskalation durch die USA einerseits, andererseits aber auch eine Überreizung der Lage seitens Nordkorea. Sollte Pjöngjang zur Atommacht aufsteigen, werden Südkorea und Japan sich nicht mehr zügeln und nachziehen wollen! Optimal, aber eben unrealistisch wäre der Norden ohne Bombe und der Süden ohne USA! Hier sind die Großmächte gefragt, eine Lösung zu finden.

Das Südchinesische Meer (SCM) ist Handelsstraße (30% Welthandel) und Energiereserve (Gas/Öl) zugleich. Seit 2012 zählt dieses umstrittene Gebiet (neben Taiwan und Tibet) zum „Kerninteresse“ des chinesischen Staates - oder mit anderen Worten: außerhalb liegende Staaten sollen sich dort nicht einmischen. Tun sie aber - und das mit Unterstützung derer Alliierten: sowohl Taiwan, als auch Vietnam und alle Anrainer beanspruchen das gesamte Meeresgebiet oder Teile davon für sich als wirtschaftliche Ausschlusszone. Eine solche gesteht das internationale Recht aber nur bewohnten Inseln zu, nicht aber den unbewohnten Felsen (rock: hat Territorialgewässer 12/24 nm), Riffen (fällt bei Ebbe trocken) und künstlich aufgeschütteten Inseln. China ist als einziger dort in der Lage, mit einer Unzahl von staatlich gesteuerten Schiffen/Booten im Gebiet dauerhaft Präsenz zu zeigen und damit Gebietsanspruch zu dokumentieren, sowie mit enormem Aufwand künstliche Inseln und damit Fakten zu schaffen, aber auch andere Anspruchsteller mit Drohgebärden (bewaffnet, körperlich, verbal) zu vergraulen. China deckt mit Hydrophonketten, Radarstationsnetz und Navigations-Satellitenschirm „seine“ Hälfte der Erdkugel ab, subventioniert massiv die allgegenwärtige Klein- und Großfischerei („maritime militia“), und baut gezielt seine Seestreitkräfte aus. Und internationale Schiedsgerichtssprüche (ohne jedwede Durchsetzungsoption in der Region) erkennt man einfach nicht an. So macht man das!

„One Belt, One Road“ oder Neue Seidenstraße ist das Kennwort für den politisch-strategischen Rahmen der Verknüpfung verschiedener chinesischer Investitionsprojekte in 65 Ländern Eurasiens und Afrikas zur neuen Seidenstraße.

900 Mrd Dollar (chines. Banken) in 900 bilateralen Projekten sollen die kontinentale Verbindung Ostasiens mit Europa stärken, ausländische Märkte für eigene Überkapazitäten öffnen und heimische Jobs schaffen. Belastbare Bahnlinien und enorme Schiffstonnage (Container/Energie-/Rohstoffe) bis weit in die westeuropäischen Terminals sind die eine Seite, zunehmende Militärübungen weltweit und gezielte Lieferung/Überlassung von Rüstungsgütern im afrikanischen und südasiatischen Raum sind die andere Seite der Medaille. Offensichtlich bedienen die Handelskorridore der "Neuen Seidenstraße" vorwiegend Chinas Bedürfnisse (Gefahr der Einbahnstraße).

Zusammenfassend:
International hat eine Machtverlagerung stattgefunden: China ist wirtschaftlich zur Weltmacht aufgestiegen, vertritt energisch seine nationalen Interessen, macht einen globalen Gestaltungsanspruch geltend und sucht dafür internationale Legitimität.

Für Europa bedeutet dies,

  • dass insgesamt wieder vermehrt einer „Geopolitik“ Beachtung zu schenken ist, wobei das Verhältnis zu Russland und China strategisch - Einbindung im Gesamtrahmen - neu gedacht werden muss;
  • dass Abhängigkeiten der globalen Wirtschaft öffentlich erkennbar und transparent gemacht werden: eine Neue Seidenstraße darf keine Einbahnstraße sein;
  • dass die EU deutlich dynamischer werden und eine westliche Werteordnung visionär nach innen und außen vertreten muss, wenn die europäische Teilordnung weiterhin Handlungsfähigkeit behalten und nicht von den USA entkoppelt werden soll.

Herrn Dr. Enrico Fels gilt unser ganz besonderer Dank für einen hochinformativen Vortrag mit präzisen Analysen. So wurde der Vortrag von Zuhörern als hochinteressant, sehr informativ und als Highlight qualifiziert.

Insgesamt waren über 150 Teilnehmer der Einladung gefolgt.

Neben zahlreichen Sektionsmitgliedern waren auch Mitglieder der kooperierenden Einrichtungen der Einladung nachgekommen. Allen gilt ein herzlicher Dank für nachhaltiges Interesse.

Den Abschluss der Vortragsveranstaltung bildete eine von Frau Lewejohann verantwortete Führung durch den berühmten Posttower. Ihr gilt unser Dank für die Führung wie organisatorische Unterstützung der Veranstaltung.

Dokumente zum download:
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